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Ein etwas anderes "Abenteuer"

  • Autorenbild: RETO
    RETO
  • 3. Mai 2020
  • 14 Min. Lesezeit

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Dunkel war es. Viele Wolken bedeckten den Himmel und der Mond zeigte sich nur als schmale, fahle Sichel. Auf den mit Moosen und Farnen bestandenen Waldboden fiel noch weniger Licht, aber ihre Augen waren an Dunkelheit gewöhnt. Schnell und heimlich bewegten sie sich auf den Waldrand zu, ihr Ziel konnte nicht mehr weit entfernt sein; das sagten ihnen bereits ihre Nasen. Der ekelerregende Geruch war schon eine Meile entfernt zu riechen gewesen. Das Gehöft war nah. Heu, Feuer und der süßliche Gestank von… Brot lagen in der Luft.


‚Widerlich! Wie können diese bleichrosanen Menschlinge diese Zeug nur essen, wirklich ekelhaft‘, dachte Granak als er sich mit seinen drei Kumpanen durch den nächtlichen Wald bewegte. Er war der einzige des Trupps, der schon einmal auf Menschen getroffen war.


„Riecht ihr das auch?“, grunzte Tarz und bleckte die Zähne in die Dunkelheit. „Denen werden wir gleich das Feuer schon ausmachen und die fetten Wänste aufschlitzen.“

Shlatug keckerte laut seine Belustigung heraus. „Ja, hoffentlich sind ein paar Weibchen dabei, die quieken vorher so schön…“ Er zog sein schwarzes Langmesser und führte einige Hiebe gegen ein paar imaginäre Gegner. „Und am Ende ritz ich dir das schöne Gesicht vom Schädel und esse deine Augen!“

Er vollführte eine abschließende Bewegung und drehte dabei langsam sein Handgelenk, führte anschließend den Dolch zum Mund und leckte lüstern über die Klinge. Sein Lohn war das Gackern und Lachen der Anderen, die sich ihrerseits anschickten die übelsten Mordgelüste und Hinrichtungsarten mit Axt oder Speer vorzuführen.

Wenn er sie nicht schnell stoppte, würden sie sich bald in einen Blutrausch geredet haben und alle vorher besprochenen Pläne über Bord werfen - so weit durfte es nicht kommen.

„Das reicht jetzt ihr Grottenolme“, zischte Granak. „Wenn das so weiter geht, könnt ihr auch gleich wild brüllend wie ein paar stinkende Höhlentrolle auf die Menschlinge losrennen, dann hätten wir uns die Vorbereitungen sparen können, also Ruhe jetzt! Wir sind ganz nah!“


Das hatte geholfen, zumindest bei zweien der Meute, aber Shlatug hatte noch nicht genug: „Was willst du?! Das Bisschen Spaß vorher können wir uns ja wohl gönnen, was wollen die Bleichlinge schon gegen Kämpfer wie uns ausrichten? Sobald sie uns sehen werden die Feiglinge laufen… und dann bekommen sie meinen Stahl in den Rücken!“


‚Jungspunde, allesamt‘ … das hatte er befürchtet, als sie die Ebenen gen Norden verlassen hatten. Ihre Mannbarkeit hatten sie zwar schon vor einiger Zeit erlangt, aber wirklich vorbereitet auf Kämpfe in den Menschenlanden hatte sie das nicht. Viel zu aufbrausend und selbstverliebt. Das zu äußern hätte allerdings auch nur Ärger bedeutet, es half nichts. Befehl war Befehl. Und hier und jetzt musste ein Exempel statuiert werden, Worte waren genug gesprochen.


Blitzschnell hatte Granak den Waffenarm des Aufmüpfigen ergriffen. Ein kräftiger Stoß mit der Schulter brachte ihn aus dem Gleichgewicht und schon lag der Jungspund am Boden. Der folgende kräftige Biss in den Unterarm ließ ihn laut aufheulen und seine Waffe fiel zu Boden. Granak schmeckte bitteres Blut. Ein Griff, und der mit Widerhaken und Dornen bewehrte Langdolch lag in Granaks Hand. Er warf sich mit dem Knie auf den Brustkorb des am Boden liegenden und hielt die Waffe vor Shlatugs Gesicht.


„Wenn du nicht das Jaulen aufhörst wirst du Schwierigkeiten haben noch irgendeinen Befehl zu hören, wenn ich dir auch noch das andere Ohr abschneide, du Wurm!“

Er blickte mit vor Zorn glühendem Blick in die Runde, Tarz und Lorkh waren noch immer völlig überrumpelt und starrten ihn nur entgeistert an.

„Ihr könnt von Glück reden, dass wir bloß auf Menschenjagd geschickt wurden, hättet ihr ein paar Elben in so kurzer Entfernung vor euch, hättet ihr jetzt ein paar schöne Pfeilchen in den Kehlen stecken. Also Ruhe jetzt oder ich erledige das allein…“

Alles schwieg, nur Shlatugs schweres Atmen war zu hören, das hatte wohl gewirkt. Er stand auf und steckte seine neu errungene Waffe ein, die Kakerlake würde sich eine Neue erst wieder verdienen müssen.


„Ihr wartet hier. Wenn ich nur einen Ton von euch höre, rollen Köpfe - und zwar bevor wir bei den Menschen ankommen!“ Mit diesen Worten drehte sich der Anführer um und war im Unterholz verschwunden.


„Dem werde ich auch eines Tages noch meinen Stahl in den Mund rammen und seine dreckige Zunge abschneiden“, grollte Shlatug, allerdings in einem recht leisen Ton und auch eine gute Weile, nachdem Granak nicht mehr zu sehen war.

„Halt dein dreckiges Maul! Ich glaube, er hat wirklich genug von deinem losen Mundwerk und Gebrabbel“, wies ihn Lorkh zurecht. Und das war auch das Letzte, was die drei eine ganze Weile sprachen.


Währenddessen war Granak am Rand des Waldes angekommen und spähte in die vor ihm liegende Senke. Drei größere Häuser, eines davon wohl mit einer kleinen Windmühle, umgeben von ein paar Feldern lagen in der Nähe eines schmalen Baches. Feuerschein war noch in einem der Gebäude zu erkennen, der Rest lag still und ruhig vor ihm in der Nacht. Bewacht würden diese paar Bauten sicher nicht sein, hier rechnete keiner mit einem Angriff. Das würde sich jetzt ändern. Es war viel zu lange her, dass sein Volk sich an den Menschen das letzte Mal gerecht hatte. Aber das würde bald geschehen, aus den Schatten, einem großen Meister folgend, würden sie sich wieder erheben. Wie ein Feuersturm würden sie wieder aus den Tiefen und Weiten ihres Heimatlandes kommen und die Länder der Bleichlinge überfluten und die Erde rot färben mit ihrem süßen Blut. Granak schüttelte den Kopf, um sich von diesen Siegesfantasien zu befreien - es musste klein beginnen, langsam, dass sie es nicht kommen sehen würden. Dies würde nur der erste Akt in einer langen Reihe werden, ein Ablenkungsmanöver - wenn die Kaulquappen, mit denen er unterwegs war, es nicht vermasselten. Er sollte besser schnell zurückkehren und dann dieses lächerliche Gehöft dem Erdboden gleich machen.

Die drei anderen waren noch immer hinter der kleinen Anhöhe, als er zurückkehrte. Immerhin, zumindest war seine kleine Respektsübung nicht wirkungslos geblieben.

„Die Menschlinge sind ahnungslos und liegen wahrscheinlich schon in ihren warmen, weichen Bettchen. Aber da werden wir sie schon rausholen…“„Und dann abstechen!“, fuhr Shlatug dazwischen, aber ein düsterer Blick genügte, um ihn verstummen zu lassen.„Ab jetzt“, grollte Granak, „werdet ihr eure nutzlosen Mäuler halten oder ich steche euch ab, mir reicht es jetzt!“

Er hielt Shlatug ein letztes Mal seine Speerspitze vor die Nase: „Folgt mir und gebt keinen Laut, bis wir die ersten Menschlinge vor uns haben.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und nun verschwanden alle vier im Unterholz.


Wieder am Waldrand angelangt schlugen sie sich geduckt in das mit reifendem Korn bestandene Feld und erreichten bald die Einfriedung für die Tiere. Der Wind stand günstig, also würden die Tiere sie wohl nicht verraten. Überraschend leise waren die Larven ihm gefolgt, vielleicht hat sie doch ein wenig Späherblut in ihren Adern. Mit zwei Gesten schickte er die beiden Bogenschützen die Mühle hinauf. Und Shlatug würde ihm ins Haus folgen. Beide schwangen sich über das kleine Bruchsteinmäuerchen und schlichen über trockene Pflanzen, ausgebreitet vor einem kleinen Häuschen. Ein seltsamer Geruch lag in der Luft, was war das? Er kannte diesen Geruch… Granak sann ein wenig über die Lösung des Rätsels nach. Darüber verlor er allerdings auch seinen Begleiter für kurze Zeit aus den Augen, was sich gleich darauf als schwerer Fehler erweisen würde.

Shlatug war mittlerweile um den Verschlag herum geschlichen und hatte eine kleine Türe erspäht. Mit einem Ruck riss er sie auf und wurde mit einem vielstimmigen Gegacker und Gekrächze belohnt. Mehrere weiße und braune Vögel stoben an ihm vorbei ins Freie. Shlatug griff sich ein paar der lästigen Biester und drehte ihnen kurzerhand den Hals um, aber trotzdem verbreiteten sie einen mordormäßigen Lärm. Granak seufzte kurz - wenn die Menschlinge nicht allzu tölpelhaft waren, würde ihr Kommen jetzt nicht mehr unbemerkt geblieben sein. Er sollte Recht behalten, denn die ließen nicht lange auf sich warten…

Jetzt hatte er ihn! Genau auf diesen Moment hatte er gewartet. „Dieser verfluchte Fuchs, dieses Mal werde ich ihn mir schon vornehmen und dann…“ mit lautem Gezeter trat Dernhelm mit Fackel und Knute bewaffnet aus dem Wohnhaus. Über den kleinen Hof schlich beherzt auf den Lärm zu, geradewegs in Richtung Hühnerstall. Der Fuchs hatte ihm schon drei Hennen dieses Jahr gekostet, und jetzt, wo die Küken gerade geschlüpft waren, musste er noch Sorge um die neue Brut haben. Hoffentlich war es nicht zu spät. Ein paar der Tiere hatten sich schon über die Mauer davon gemacht, die würden die Kinder morgen früh wieder einfangen dürfen, jetzt ging es aber erstmal dem Räuber an den Kragen.

Er war gerade am kleinen Törchen angelangt, als ihm die offene Türe des Hühnerstalles auffiel. ‚Was ist das denn für ein Hühnerdieb‘, ging es ihm durch den Kopf. Er stutzte kurz, setzte seinen Weg dann aber fort. Vor dem Eingang lagen mehrere Hühner, anscheinend alle tot. Er beugte sich nach unten, um eines der Tiere in Augenschein zu nehmen. Hier ging etwas Merkwürdiges vor, der Fuchs hatte bisher seine Beute geschnappt und sich aus dem Staub gemacht, das Einzige, was er zurück gelassen hatte, waren höchstens ein paar Federn. Und das hier? Ein Fuchsrudel? Gab es so etwas? Und warum hatten die Füchse ihre Beute liegen lassen. Er fasste seine Knüppel fester und richtete sich wieder auf.


Der Mensch war nah, sehr nah. Er konnte ihn schon riechen. Der Lichtschein der Fackel blieb kurz vor dem Eingang stehen, rührte sich dann aber nicht mehr. Er bewegte sich langsam nach unten. Was tat dieser Feigling dort draußen? Shlatug hatte sich links neben den Eingang gehockt, bereit zum Sprung, aber irgendetwas ließ seine Beute vor der Türe stehen bleiben. Er spürte seinen Herz bis zur Kehle schlagen, jeder Muskel seines Körpers war gespannt, die metallenen Armschienen und das Leder seines Brustgeschirrs pressten gegen seine Haut. Er hielt es nicht mehr aus, dieser Menschling würde jetzt sein erstes Opfer an der Oberseite sein. Er sprang auf… und wurde gleich wieder von hinten zu Boden gedrückt. „Warte, du Tölpel!“


Dernhelm wollte gerade die Fackel in das Dunkel des Innenraumes halten, als er von dort einen dumpfen Schlag, gefolgt von einem unverständlichen Zischen vernahm. Nun wurde es unheimlich, das war kein Fuchs. Es lief ihm eiskalt den Rücken herunter, sein Atem wurde schneller, das Herz pochte.

Die Mühle! Er brauchte hier wohl doch Hilfe, der alte Hernbold und am besten noch dessen Sohn wüsste er nun doch gern an seiner Seite. Er rannte wieder zurück und über den Hof. In Höhe des Brunnens angekommen nahm er im Augenwinkel einen Schemen wahr, linker Hand, in der Tür des Wohnhauses. Er wandte den Kopf und erkannte seine kleine Tochter neugierig an der Türe vorbei lugen. In ihrem Schlafrock stand sie da und erinnerte ihn fast an einen kleinen, blonden Geist.


„Lilia! Mach, dass du rein kommst! Verriegel die Türe und schau nach…“, rief er noch aus Leibeskräften über den Hof hinüber, als ihn ein schwerer Schlag aus dem Tritt und aus dem Gleichgewicht brachte. Einen Herzschlag später breitete sich ein alle Sinne betäubender Schmerz in seinem Brustkorb aus. Er schrie auf. Fackel und Knüppel fielen zu Boden. Er griff sich an die schmerzende Stelle in der Brust. Etwas Warmes tränkte seine Kleider und floss über seine Hände. Als der zweite Pfeil ihn unterhalb des Halses traf, verlor er schon die Sinne und war bereits tot, als sein Körper auf dem Boden aufschlug.


In der Mühle wurde Hernbold jäh aus seinem etwas alkohollastigen Schlaf gerissen. Irgendwer schrie draußen aus vollem Hals. Oder sollte es doch wieder irgendein schlechter Traum gewesen sein, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Nein, das konnte nicht sein, denn auch Ethun saß aufrecht im Bett und lauschte angestrengt in die Nacht. „Du hast auch etwas gehört?“, wurde er gefragt. „Ja, aber jetzt ist es wohl wieder ruhig.“ „Trotzdem, es gefällt mir nicht, ich habe ein ungutes Gefühl“, erwiderte sein Sohn, sprang aus dem Bett und verschwand aus dem kleinen Schlafgemach nach unten. Kurze Zeit später hörte er ihn mit unterdrückter Stimme nach oben rufen: “Vater, da scheint etwas auf dem Hof zu liegen.“

Es half nichts, er würde aufstehen müssen. Der Boden schwankte ein wenig, als er sich neben dem Bett aufrichtete aber nach den ersten paar Schritten hatte er sich wieder im Griff. Nachdem er die kleine Treppe heruntergestiegen war, fand er Ethun vor dem Fenster hocken und nach draußen spähen.


„Erkennst du etwas? Was geht denn zu dieser nachtschlafenen Zeit da draußen nur vor sich?“, wollte Hernbold mit einer guten Portion Angst in der Stimme wissen. Er hatte sich auch keinen Zoll von den Stufen fort bewegt.

„Etwas liegt dort zwischen dem Haus und dem Brunnen, ich kann nicht genau erkennen was es ist, aber eine Fackel liegt wohl daneben. Vielleicht ist es einer der Breewardts und ist beim Wasserholen gestürzt? Ich werde nachsehen.“

Ethun stand auf, entzündete einen Kienspan in der Glut des Kamins und ging zur Tür.

„Junge, bist du sicher? Sei lieber vorsichtig und bleib hier drinnen. Sollen die sich doch um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern“, gab der Alte zum Besten. „Vater, nun red‘ nicht wieder so ein dummes Zeug! Wer sollte denn da draußen schon sein? Und wenn es der gute Dernhelm ist, der da gestürzt ist, werden Garida und die kleinen ihre liebe Mühe haben ihn ins Haus zu bekommen. Ich bin gleich wieder da.“ Mit diesen Worten verschwand Ethun aus der Tür.

Kalter Schweiß stand Hernbold auf der Stirn. Er blieb versteinert an der Treppe stehen, unschlüssig, was er nun tun sollte: zwischen den Mehlsäcken verstecken, wieder ins Bett legen und warten? Seinem Sohn zu folgen war ausgeschlossen! Aber die Sorge nagte an ihm - seinen Sohn hatte sich wirklich gerade, nur mit dem Nachthemd bekleidet, in die Düsternis verabschiedet.

Das lief ja wunderbar, jetzt hatte dieser Mensch auch noch das Brüllen angefangen, war aber wohl von einem der Bogenschützen zum Schweigen gebracht worden.

„Shlatug, du gehst nach diesem ersten Wurm mit der Fackel Ausschau halten, ich kümmere mich um das Wohnhaus auf der linken Seite. Los, steh endlich auf und verdien‘ dir deine neue Waffe, du Höhlentroll!“

Granak riss den Nichtsnutz wieder auf die Beine, der sich ohne ein weiteres Wort aus der Tür schlich. Der Anführer folgte ihm und stellte mit ein wenig Bewunderung fest, dass Shlatug bereits die steinerne Mauer hinter sich gelassen hatte und auf den Brunnen zu schlich. Er selbst blieb in der Deckung, witterte kurz und eilte geduckt zum Haupthaus. Die Türe, aus der der Mensch getreten war, war nun wieder verschlossen, allerdings gab es noch mehrere Öffnungen mit Holzgestellen in den Wänden und Granak schwang sich auf einen der Simse hinauf. Eine kalte Masse hielt allerdings sein Weiterkommen auf. Er drückte, nichts geschah. Er klopfte mit den Klauen dagegen und ein leises, leicht metallisch klingendes Geräusch war zu hören. Als er die gerade Fläche näher betrachtete stellte er fest, dass sie durchsichtig war und er so ins Innere hineinschauen konnte. War es Eis? Darüber durfte er sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen...

Der Raum schien verlassen. Er erspähte ein paar Holzpfosten... Regale, gefüllt mit ein paar Gefäßen, Tisch und Stühle. Mehr konnte er von hier nicht sehen. Es gab aber noch mehr dieser eckigen Löcher in der Wand, vielleicht hatte er da mehr Glück. In dem Moment, als er auf den nächsten Vorsprung landete, war von innen ein hoher schriller Schrei zu hören; auch hier konnte er durch die Flächen schauen und erkannte im Inneren ein kleines gelbhaariges Junges, das keine zwei Meter von ihm entfernt an einem weiteren Holzpfosten kauerte und ihn jetzt mit blanker Panik in den Augen anstarrte. Shlatug hatte mit seiner aufgeschnappten Geschichte recht gehabt, als er von den quiekenden Weibchen gesprochen hatte. Irgendwie musste er hineinkommen und schlug kurzerhand auf die kalte Fläche ein, es klirrte und ein Schmerz fuhr durch seine Hand. Die Barriere war durchbrochen, aber sie hatte ihn verletzt. Sein schwarzes Blut klebte an einigen Spitzen und Kanten und lief daran herunter. Wut stieg in ihm auf, das dauerte viel zu lang. Er sprang von dem Sims, holte mit dem Speer aus und hieb auf die Öffnung ein. Es klirrte abermals, das Holz splitterte unter seinen Hieben. Noch ein zwei weitere Schläge und das hölzerne Gestell polterte zu Boden. Der Weg ins Innere war frei.


Shlatug war gerade am Brunnen vorbei und hatte die Leiche fast erreicht, als sich die Tür der Mühle öffnete. Ein kleines Licht, getragen von einem Menschen in einen hellen, auf die Oberschenkel reichenden Stoffsack gekleidet, stapfte geradewegs auf ihn zu. Das war nicht gut. Er machte sich zum Angriff bereit.

„Dernhelm… Dernhelm, bist du das? Es ist so dunkel, was ist passiert?“, schallte es zu ihm herüber. Er schien wohl doch noch ein wenig Glück zu haben. Menschen waren wohl wirklich das schwächste Volk, nicht mal bei Sternenlicht richtig sehen zu können war auf kurz oder lang ihr Untergang… und verschaffte ihm ein weiteres Mal den Vorteil des Überraschungsangriffs, er trat die letzten Reste der glimmenden Fackel aus und zog sich wieder hinter den Brunnen zurück. Der Menschen war nun ganz nah an den Körper des Toten herangetreten. Er blieb wie angewurzelt stehen und hielt den brennenden Stock näher heran.

Der Moment war da, er musste zuschlagen bevor dieser Großling Hilfe rufen konnte. Der Goblin stieß sich mit aller Kraft ab und rannte los. Der Mensch war wirklich um einiges größer als er, aber das war nicht von Belang, er würde seine erste Beute an der Oberseite werden. Noch im Sprung drehte Shlatug den langen Dorn seiner rechten Armschiene in Richtung des weichen Unterbauchs, versenkte seine Klauen in der Schulter seiner Beute und biss ihm in die Kehle. Warmes, süß schmeckendes Blut strömte in seinen Mund und spritzte in sein Gesicht, ein weiterer Biss uns sein Opfer stürzte rücklings zu Boden. Dieses Mal schrie niemand, nur kurzes Gurgeln war noch zu hören, dann war auch dieser Mensch verstummt. Er richtete sich befriedigt und berauscht wieder auf, ging langsam zur Leiche des ersten Schwächlings, nahm dessen Knüppel auf und schritt langsam weiter auf die Mühle zu. Links hinter ihm war ein Quieken zu hören, Garnak hatte wohl ein Weibchen gefunden. Wie die wohl aussahen... Wer weiß, vielleicht wartete eines auf ihn in der Mühle.

Als Garnak durch die Öffnung ins Innere der Behausung sprang, war das kleine Menschlein verschwunden. Stattdessen sah er sich einem ausgewachsenen menschlichen Weibchen gegenüber, das mit einem langen dreizackigen Speer bewaffnet in der Mitte des Raumes stand.

„Verschwinde, du Scheusal! An mir kommst du nicht vorbei! Zurück mit dir in das Loch, aus dem du gekrochen bist! Wenn Dernhelm erst wieder da ist, wird er dich das Fürchten lehren!“ schrie es ihm entgegen. Er war enttäuscht, hatte er doch auf ein quiekendes und winselndes Opfer gehofft. Aber diese Assel würde er schon zertreten. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf,knurrte und bleckte die Zähne. Anscheinend zeigte schon allein diese kleine Drohgebärde ihre Wirkung, das Weibchen wich ein Stück zurück, ihre Augen weiteten sich. Hinter ihr begann plötzlich ein neuerliches Geschrei, diesmal kam es aus einem kleinen hölzernen Kasten neben der Lagerstatt. Das Weibchen schien seinen Blick bemerkt zu haben und stellte sich genau zwischen ihn und den Kasten, und kam wieder näher!

‚Eine Bache, die ihre Frischlinge schützt… das könnte interessant werden‘, dachte er und sprang auf sie zu. In einem schnellen Hieb verkantete er seine lange Speerspitze zwischen den Zinken ihres Speers und mit einem kräftigen Ruck nach rechts hatte er das Weibchen auch schon entwaffnet. Er liebte wehrlose Beute.

„Lilia, lauf! Lauf und schau nicht zurück! Du musst rennen bis du nach…“ aber auch dieser Menschlingssatz wurde in dieser Nacht nicht beendet. Sie hatte nicht gewinselt…


Währenddessen war Lilia allerdings schon aus der Tür gerannt, hinunter zum Bach um von dort so schnell wie möglich von der Bestie weg zu kommen. Ihre kleinen Beine rannten und rannten. Sie bemerkte nicht, dass zwei Pfeile sie nur knapp verfehlten.

Ein weiterer, diesmal ein Kinderschrei, riss den alten Müller aus seiner Erstarrung. Ihn packte die blanke Angst, Panik stieg in ihm empor.

‚Da draußen lauert der Tod. Ethun… oh nein, ich muss hier weg… ich muss hier weg…‘

Er stürzte die Treppe hinauf. Bloß weg, weg von der Tür... Oben auf der Empore würde er über das Dach hinter die Mühle klettern und von dort entkommen können. Er sprang in seine Stiefel, eilte die Leiter hinauf und öffnete die Luke, die zum Umlauf führte. Als er sie anhob wurde er sich schmerzlich wieder der ungeölten Scharniere bewusst, er hätte sie schon vor längerer Zeit wieder fetten müssen. Nun war es zu spät, Hernbold musste hier weg und dies war sein einziger Fluchtweg. Er schob die Klappe ganz auf. Kalte Luft strömte ihm entgegen, als er völlig außer Atem ins Freie trat.


Tarz und Lorkh beobachteten mit einiger Belustigung, wie Shlatug unbewaffnet dem ahnungslosen zweiten Menschling den Garaus machte. Als er danach die Waffe an sich genommen und auf die Mühle zugeschritten kam, machte sich Lorkh geschwind an den Abspieg um mit ihm das Gebäude von innen zu begutachten. Vielleicht fand sich dort noch die eine oder andere Menschenhaut. Tarz blieb noch eine Weile auf der Plattform. Nachdem er leider vergebens zwei Pfeile nach einem fliehenden kleinen Gelbhaarmenschling geschossen hatte, hörte er von der anderen Seite der Plattform verdächtige Geräusche. Die beiden anderen konnten das noch nicht sein, die waren gerade erst im haus verschwunden. Tarz zog einen weiteren Pfeil aus seinem Köcher, legte ihn auf und ging langsam auf die andere Seite. Nach wenigen Schritten schon fand er auch den Grund für das metallische Quietschen. Ein fetter Mensch stand dort und japste nach Luft. Wie ein Fisch an Land. Grinsend ließ Tarz die Sehne fahren. Der Pfeil, aus nicht einmal drei Schritten Entfernung abgefeuert, durchbohrte sein Ziel und mit einem langen Seufzer, teils überrascht teils schmerzverzerrt, taumelte der alte Müller nach vorn und stürzte über die Brüstung.

„Zeit eure Trophäen zu suchen! Aus euch werden vielleicht doch noch ein paar Orks“, rief Granak zufrieden seinen Gefolgsleuten zu, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass kein weiterer Mensch mehr auf dem Hof zu finden war. Mittlerweile dämmerte es.

„Hier soll kein Mensch mehr wohnen können! Werft die beiden Männchen in den Brunnen, tötet dann das restliche Vieh und zu guter Letzt werden die Gebäude angezündet. Sollen sie nur sehen, was ihnen blüht!“

„Was ist mit dem gelbhaarigen Frischling?“ fragte Tarz.

Granak grinste:“ Wenn dir danach ist, geh und jag‘ es!“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Auch der Rest schwärmte nach dieser letzten Anweisung aus. Shlatug war als erster zurück. Neben den Knüppel hatte er den Kopf seines ersten Opfers an den Gürtel gebunden, die Augen fehlten. Der Anführer nickte zustimmend als er seine Auswahl sah. Lorkh kehrte mit ein paar Münzen zurück, die er in den Häusern gefunden hatte, zwei davon sogar aus Gold, auch das war annehmbar. Granak selbst hatte sich einen Vogelfuß abgeschnitten und um den Hals gebunden. Als ständige Erinnerung, zukünftig besser Acht zu geben, den Geruch von Hühnern wollte er nie wieder vergessen. Aber sie hatten sich noch etwas Besonderes verdient: Den Milchling hoben sie sich auf... ____________ Bild: https://rezensionen.nandurion.de/files/2014/06/Orkhelden-Tristan-Deneke-Firuns-Fl%C3%BCstern.jpg

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